Heute sind wir durch den Nord-Ostsee-Kanal gefahren. Von Brunsbüttel nach Kiel.

Die Morgensonne erstrahlt schon hell und kraftvoll über dem Horizont und taucht die Elbe in ihr goldenes Licht, als wir morgens um 7 Uhr Anker aufgehen und in den Nord-Ostsee-Kanal einfahren. Diese meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt wird jedes Jahr von ca. 30-35.000 größeren Schiffen passiert, das sind mehr als im Suez- und im Panama-Kanal zusammengenommen. Sie verbindet auf einer Länge von 98,637 km die Nordsee mit der Ostsee, genauer gesagt der Unterelbe bei Brunsbüttel mit der Kieler Förde. Damit spart man den gefährlichen und oft stürmischen Weg um Jütland herum durch Kattegat und Skagerrak.

Erbaut wurde der Kanal zwischen 1886 und 1895 von bis zu 8.900 Arbeitern, die 80 Millionen Kubikmeter Erdreich bewegten. Besonders bewundert wurden damals die Brücken und Schleusenanlagen. Und in diese Schleusen von Brunsbüttel biegen wir jetzt ein, allerdings in die „neuen Schleusenkammern“ aus der ersten Erweiterung von 1914. Sie sind mit 310 m Nutzlänge und 42 m Nutzbreite etwas länger und deutlich breiter als die alten Schleusen des Panama-Kanals (300 x 32 m) und deutlich größer als die Original-Schleusenkammern (125 x 22 m) am Nord-Ostsee-Kanal.

Wir gehen mit einem Frachter und einigen Segelbooten in die nördliche der beiden Kammern. Direkt an unserer Steuerbordseite sehen wir eine gewaltige Baustelle. Da alle vier Schleusen chronisch reparaturanfällig sind, wird hier seit 2014 eine neue, fünfte Schleusenkammer erbaut, die 330 m Nutzlänge bekommen soll. Diese größte Wasserbaustelle Deutschlands ist etwas kompliziert, da sie sich auf der kleinen Insel zwischen den alten Schleusenpaaren befindet. Somit müssen alle Maschinen, Materialien und Menschen auf dem Wasserwege dorthin transportiert werden. Aber inzwischen sind die Arbeiten weit fortgeschritten, und die Kammer ist bereits mit Wasser geflutet.

Dann genießen wir bei herrlichem Spätsommerwetter die Fahrt einmal quer durch Schleswig- Holstein. Wir sehen jede Menge schöne Landschaft, und daneben das berühmte Dörfchen Wacken (weltbekannt durch das größte Heavy-Metal-Festival der Erde), die längste Sitzbank der Welt und den Weinberg von Gut Warleberg. Unterwegs schnauft uns der Schaufelrad- Dampfer „Freya“ von 1905 entgegen und begrüßt uns mit drei hupenden Dampfstößen, die wir natürlich mit unserem Schiffstyphon beantworten.

Und wir passieren die Eisenbahnhochbrücke von Rendsburg mit ihrer Schwebefähre, ein auf der Welt einzigartiges Technikdenkmal. Bei ihrem Bau 1911-13 war sie die größte und berühmteste Stahlkonstruktion der Welt, mit 17.740 t fast 2,5-mal so groß wie der Eiffelturm!

Gegen Ende der Kanalfahrt geht es unter den letzten von insgesamt 10 Hochbrücken hindurch, nämlich denen von Holtenau und Levensau. Letztere war einst eine wunderschöne Backstein/Schmiedeeisen-Konstruktion. Nach einer Havarie 2007 sollte sie eigentlich abgerissen werden. Allerdings haben sich in ihren Widerlagern viele Tausend Fledermäuse häuslich eingerichtet, vor allem Große Abendsegler. Und so steht sie heute als größter bekannter Überwinterungsort für Fledermäuse in Mitteleuropa unter Naturschutz.

Schließlich erreichen wir gegen 15 Uhr die Schleusen von Kiel-Holtenau. Hier ist die Situation etwas anders, denn die alten Schleusenkammern sind nicht mehr in Betrieb und seit ein paar Jahren mit Sand verfüllt. Eine kleine Wartezeit bringt uns schließlich in die Kieler Förde, wo wir über backbord drehen und nach Norden fahren, in Richtung auf die offene Ostsee.

Bald durchqueren wir die engste Stelle der Förde: gerade einmal einen Kilometer trennen das U-Boot-Ehrenmal Möltenort am Ostufer vom Leuchtturm Friedrichsort am Westufer. Ein Stückchen weiter ragt im wunderschön warmen Licht der Abendsonne das Marine-Ehrenmal von Laboe 85 m hoch in den Himmel. Es ist inzwischen allen auf See gebliebenen Matrosen aller Länder geweiht und verbindet in seinem geschwungenen Bogen aus rotem Ostsee-Granit und Backstein Meer, Erde und Himmel.

Ein Stückchen weiter sehen wir die Strände von Kalifornien und Brasilien, wo der Autor dieser Zeilen seine Kindheit zu verbringen das Vergnügen hatte. Diese exotischen Ortsnamen sind sehr alt und keinesfalls eine Erfindung der Tourismus-Industrie. Die mündliche Überlieferung berichtet, daß ein lokaler Fischer eine Schiffsplanke mit der Aufschrift „California“ fand und an seinen Steg oder Bootsschuppen nagelte. Ein zweiter Fischer etwas weiter östlich fand das ziemlich protzig und pinselte nun seinerseits „Brasilien“ auf ein Stück Treibholz und nagelte es an seine Hütte. Die Namen prägten sich ein und blieben bis heute …

Heute ist der Höhepunkt des Meteoritenschwarms der Perseiden. Und so treffen sich alle begeisterten Sternengucker um 23 Uhr oben auf dem Sonnendeck. Die noch junge Mondsichel ist schon untergegangen, und nur wenige Wolken verhüllen den Sternenhimmel. Alle Schiffslichter werden soweit wie möglich abgeschaltet, nur in der Ferne grüßen die Lichter von Sønderborg übers Meer. Bei maximal möglicher Dunkelheit liegen wir also gemütlich in den Liegestühlen und gucken hinauf zum Sternbild des Perseus, aus dem die Sternschnuppen optisch erscheinen. Einige sehr helle und viele schwach leuchtende Meteore schießen hervor.